Jahr für Jahr gibt das Bundesfinanzministerium die Richtsatzsammlung heraus, die für viele Branchen beispielsweise die gängigen Rohgewinnaufschläge auf den Waren- und Materialeinsatz auflistet. Die Richtsätze sollen der Finanzverwaltung Anhaltspunkte geben, um Umsätze und Gewinne der Gewerbetreibenden zu verproben. Tatsächlich dient die Richtsatzsammlung oftmals als Schätzungsgrundlage im Anschluss an Betriebsprüfungen, wenn der Prüfer Mängel in der Kassenführung oder Buchführung feststellt. Zumindest kommt es im Rahmen von Außenprüfungen zu Diskussionen, wenn zum Beispiel die Rohgewinnaufschläge des geprüften Betriebs weit unterhalb der Richtsätze laut Richtsatzsammlung liegen.
Schon seit einiger Zeit steht die Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung in der Kritik, denn wie das zugrundeliegende Zahlenmaterial zusammengetragen wurde und ob es wirklich repräsentativ ist, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Nunmehr hat auch der Bundesfinanzhof Zweifel an der Richtsatzsammlung geäußert und daher in einem Verfahren, in dem es um die Hinzuschätzung von Umsätzen eines Diskothekenbetreibers geht, das Bundesfinanzministerium zur Stellungnahme aufgefordert, das heißt, das BMF muss dem Verfahren "beitreten", wie es in der Gerichtssprache heißt (BFH-Beschluss vom 14.12.2022, X R 19/21). Unklar erscheint dem BFH insbesondere,
- welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
- ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht;
- weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei so genannten Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen;
- ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.
Zudem stelle sich die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung - insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen - nachzuvollziehen und zu überprüfen.