Wer einen Vermögensgegenstand erbt, zahlt hierfür grundsätzlich Erbschaftsteuer, wenn die entsprechenden Freibeträge überschritten sind. Wird der Vermögensgegenstand bereits kurze Zeit nach der Erbschaft veräußert, kann ein dabei entstehender Gewinn der Einkommensteuer unterliegen. Die Summe von Erbschaft- und Einkommensteuer kann eine enorme Höhe erreichen. Daher sieht der Gesetzgeber in § 35b EStG vor, dass die Einkommensteuer - unter bestimmten Voraussetzungen - ein Stück weit gemindert werden darf. Die Vorschrift enthält allerdings eine wichtige zeitliche Komponente: Die Einkommensteuer wird nur gemindert, wenn die Einkünfte "im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben."
Für die Begünstigung gilt also maximal ein Fünf-Jahres-Zeitraum (Veranlagungszeitraum des Sterbejahres plus vier davor liegende Veranlagungszeiträume). Der Bundesfinanzhof hat nun entschieden, dass der fünfjährige Begünstigungszeitraum regelmäßig mit dem Tod des Erblassers beginnt. Er wird auch dann nicht verlängert und beginnt auch dann nicht später, wenn die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Nachlass erst nach mehreren Jahren eingetreten ist (BFH-Urteil vom 28.11.2023, X R 20/21).
Der Kläger hatte unter anderem zwei Beteiligungen an Kommanditgesellschaften geerbt. Wegen einer nahezu sechs Jahre andauernden Erbenermittlung, einem langwierigen Erbscheinverfahren sowie personeller Engpässe im Nachlassgericht wurde der Erbschein, der den Kläger als Alleinerben auswies, erst nach sechs Jahren ausgestellt. Bis zur Erteilung des Erbscheins war der Kläger aufgrund der Bestellung eines Nachlass- und Verfahrenspflegers daran gehindert, über den Nachlass zu verfügen. Kurze Zeit nach Erteilung des Erbscheins veräußerte der Kläger die KG-Beteiligungen. Er machte in seiner Einkommensteuererklärung die Steuerermäßigung nach § 35b EStG geltend, die ihm jedoch nun auch vom BFH verwehrt wurde.
Begründung: Der fünfjährige Ermäßigungszeitraum des § 35b EStG muss zu einem klar definierten Zeitpunkt beginnen. Dies ist regelmäßig der Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer, meist also der Todestag des Erblassers oder der Erblasserin. Da es schon vom Wortlaut des § 35b Satz 1 EStG her auf ein Verschulden nicht ankommt, ist es vorliegend auch unerheblich, dass der Erbschein erst sechs Jahre nach dem Tod der Erblasserin erstellt worden ist und der Kläger erst nach Erteilung des Erbscheins die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, um die es geht, überhaupt erzielen konnte. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn aufgrund der Begrenzung des Begünstigungszeitraums des § 35b Satz 1 EStG auf fünf Jahre zum einen der Erwerb der Beteiligungen mit Erbschaftsteuer und zum anderen ihre Veräußerung mit Einkommensteuer belastet wird. Weder ist der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, noch ist eine etwaige verfassungsrechtlich zu beachtende Belastungsgrenze überschritten.